Okt 29

Klage gegen die Festbeträge für Hörgeschädigte

Ab 1. November 2013 werden neue höhere Festbeträge für Hörgeräte gelten und obwohl die Beträge deutlich angehoben werden, ist abzusehen, dass die meisten schwerhörigen Menschen für eine Versorgung mit Hörgeräten, die den Kriterien der geltenden Hilfsmittelrichtlinie entsprechen, weiterhin Zuzahlungen werden leisten müssen.

Deshalb hat die Deutsche Gesellschaft der Hörgeschädigten – Selbsthilfe und Fachverbände e.V. (DG) stellvertretend für alle hörgeschädigten Menschen in Deutschland Klage gegen die Festbeträge eingereicht. Ziel ist es, dass das immer noch intransparente Festsetzungsverfahren gerichtlich überprüft wird, die Patientenvertreter Einsicht in alle Kalkulationsgrundlagen erhalten und somit erreicht wird, dass die Festbeträge richtig berechnet werden.

Auszug aus der Stellungnahme:

Kritik an den Kriterien und der Höhe des neuen Festbetrags

Für die DG sowie ihre Mitgliedsorganisationen sind die neu festgesetzten Festbeträge nicht hinnehmbar. Diese Festsetzung des Festbetrags ist mit dem BSG-Urteil vom 17.12.2009 Az. B 3 KR 20/08 R nicht vereinbar.

Festbetragsgruppensystem

Aus Sicht und Überzeugung der DG ist es nicht zweckmäßig, leicht-, mittel- und hochgradig schwerhörige Patienten zu einer Festbetragsgruppe zusammenzufassen, da die unterschiedlichen Versichertengruppen unterschiedliche Anforderungen bei der Ausstattung der Hörgeräte und beim Anpassungsaufwand haben. Außerdem ist der 2012 in Kraft getretene Festbetrag für an Taubheit grenzend schwerhörige Versicherte WHO -4 vor dem Hintergrund der Festsetzung des neuen Festbetrages zu überprüfen.

Höhe des Festbetrags

Die Höhe des Festbetrags reicht nicht aus. Im BSG-Urteil vom 17.12.2009 (B 3 KR 20/08 R) wird darauf hingewiesen, dass selbst bei einer mittelgradigen Schwerhörigkeit mindestens 1000 Euro pro Gerät notwendig sind, um den Versicherten angemessen zu versorgen. Anhand der vom GKV-Spitzenverband noch nachzureichenden Kalkulationsgrundlagen wird zu klären sein, ob die Berechnungen des GKV-Spitzenverbands den definierten Ausstattungs- und Anpassungsvorschriften und dem o.g. BSG-Urteil genügen.

Anpassungsaufwand

Der eingerechnete Arbeitsaufwand des Akustikers von 461 Minuten ist mindestens für hochgradig Schwerhörige, in vielen Fällen aber auch für mittelgradig Schwerhörige mit kompliziertem Hörverlust zu niedrig angesetzt. In diesen 7 Stunden und 41 Minuten sollen mindestens 2 verschiedene Hörgeräte mit jeweils 3 Hörprogrammen vergleichend angepasst werden. Dazu gehört eine sorgfältige Bestandsaufnahme und Beratung des Patienten, zwischendurch immer wieder Messungen und Tests bis zur endgültigen Auswahl. (…)

Abschlag für zweites Hörgerät

Der Abschlag von 20% für das zweite Hörgerät bei einer beidseitigen Versorgung ist rechtswidrig. Der Festbetrag wird jeweils für eine Hörhilfe in einfacher Stückzahl festgelegt. Eine nachvollziehbare Begründung, warum die Anpassung eines zweiten Hörgerätes 20% preisgünstiger sein soll, wurde vom GKV-Spitzenverband bisher nicht vorgelegt.

Anpassungsleistungen und Ausstattungskomponenten

Die in der Festbetragsdefinition genannten Ausstattungskomponenten reichen nicht aus. Für den Personenkreis der hochgradig Schwerhörigen muss im Hörgerät zwingend eine Induktionsspule zusätzlich zu den drei Hörprogrammen vorhanden sein. Sie ermöglicht die Nutzung von allgemein zugänglichen öffentlichen Induktionsanlagen, z.B. an Verkaufs- und Informationsständen, auf Bahnhöfen und Flughäfen sowie in Verkehrsmitteln, Theatern, Kinos, Kirchen, Schulen, Volkshochschulen, Vortragssälen. (…)

Für den Personenkreis der hochgradig Schwerhörigen ist ein Audioeingang zum Anschluss von Zusatzgeräten (wie z.B. Übertragungsanlagen) obligatorisch. Laut der zum 01.04.2012 in Kraft getretenen Hilfsmittelrichtlinie können Übertragungsanlagen zur Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auch bei Erwachsenen zusätzlich zu einer erfolgten Hörgeräteversorgung verordnet werden. Der Anschluss der Übertragungsanlage an das Hörgerät erfolgt über den Audioeingang. Es muss sichergestellt sein, dass Induktion und Audioeingang nicht die drei Hörprogramme binden, d.h. drei freie Hörprogramme (z.B. für Standard, Störschall, Mikrofonabschaltung) müssen immer vorhanden sein. Es muss klar gestellt werden, dass die drei Hörprogramme plus Induktion plus Audioeingang nicht nur vorhanden sind sondern vom Akustiker auch anzupassen sind. Darüber hinaus muss es möglich sein, zwischen den unterschiedlichen Programmen leicht manuell umzuschalten. Dafür ist ein externes Bedienelement (Fernbedienung) unverzichtbar. Widersprüchlich ist, dass eine Mehrmikrofontechnik bei den Ausstattungskomponenten nicht erwähnt wird, obwohl sie bei den Anpassungsleistungen aufgeführt ist.

Die notwendigen Anpassungsleistungen und Ausstattungskomponenten für die im Festbetrag definierte Personengruppe sind vollständig und widerspruchsfrei zu beschreiben, um zu vermeiden, dass in der Praxis nicht definierte Komponenten und Dienstleistungen als über den Festbetrag hinaus gehende Ausstattungen und Aufwände den Versicherten zusätzlich in Rechnung gestellt werden.

Nachbetreuung

Der 6-jährige Nachversorgungszeitraum von der Versorgung bis zur Wiederversorgung ist im neu definierten Festbetrag nicht enthalten. Es ist bisher ungeklärt, wie bei der Inanspruchnahme einer Nachversorgungsdienstleistung (u.a. Reparaturen, Schlauchwechsel, Geräteprüfungen, Nachjustierungen, Ersatzgerät während der Reparatur) verfahren wird. Kann der Akustiker der Krankenkasse die Dienstleistung separat in Rechnung stellen oder soll sie pauschal über Versorgungsverträge mit den Krankenkassen abgerechnet werden?

Eine Leistung, die nicht vergütet wird, erhält der Versicherte in der Regel nicht oder wenn er sie erhält, werden die Kosten anderswo eingespart, hier bei den in der Festbetragsdefinition vorgeschrieben Leistungen oder ihrer Qualität. Patientinnen und Patienten haben die Sorge, dass sie die notwendige Nachversorgungsdienstleistungen von den Akustikern nicht erhalten, wenn diese von den Krankenkassen nicht vergütet werden, so dass die Versicherten befürchten, die Dienstleistungen selber bezahlen zu müssen.

Resümee

Auf Grund der Verfahrensfehler hätte es zu einem Inkrafttreten des geänderten Festbetragsgruppensystems und des neuen Festbetrages nicht kommen dürfen. Die gesamte Preiskalkulation ist intransparent. Auch wird der neue Festbetrag den Bedürfnissen der Versicherten, die von den Patientenvertretern vorgebracht wurden, nicht gerecht. Das neue Festbetragsgruppensystem und der neue Festbetrag sind daher gerichtlich zu überprüfen.

Quelle: http://www.schwerhoerigen-netz.de/MAIN/news.asp?inhalt=2013/2013-15